Die Anschläge in den USA stellen eine neue Dimension von terroristischer
Gewalt, von Inhumanität dar. Damit werden Fragen nach den Hintergründen
solcher Anschläge, nach Motiven, nach den Ursachen bestehender Konflikte
aber auch nach Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösungen und
nach den Voraussetzungen für eine gerechte Friedensordnung aufgeworfen.
Wichtige und aktuelle Themen für fächerübergreifende Projekte
in der Schule angesichts einer bedrohlichen Weltlage.
Von Dieter Smolka
Derzeit bombardieren die Amerikaner
Afghanistan und wollen dabei die Zivilbevölkerung schonen: Kann es
einen "sauberen" Krieg überhaupt geben? Wie sehen Schüler
die Welt und ihre Bedrohungen? Ist Krieg die Lösung? Kann man den
Terrorismus militärisch besiegen und die Spirale von Gewalt und Gegengewalt
durchbrechen? Die mysteriösen Todesfälle durch Milzbrand in
Florida schüren die Angst vor Terrorschlägen mit Biowaffen.

"Sehr geehrter Herr Präsident Bush. Mit Entsetzen und
tiefer Betroffenheit haben wir die abscheulichen Terroranschläge
verfolgt. Wir bitten Sie, mit Besonnenheit und nicht mit Krieg auf diesen
Anschlag gegen die Menschlichkeit zu reagieren. Gewalt ist keine Antwort
auf Gewalt."
So oder ähnlich schrieben Schüler
bereits nach dem 11. September Briefe und E-Mails an den amerikanischen
Präsidenten. Die Terroranschläge in den USA standen im Zentrum
des Schulunterrichts. Gedenkminuten, ökumenische Gottesdienste waren
Zeichen der Trauer, des Mitgefühls, der Solidarität und der
Verurteilung des Terrors.
"Im ersten Augenblick habe
ich es gar nicht glauben können, ich dachte, das wäre ein Science-Fiction-Film",
berichtete Benjamin Schäfer, Schüler einer Abiturklasse in Düsseldorf,
wenn er sich an jenen Nachmittag erinnert. "Dann wurde mir langsam
klar, dass all das, was ich dort sah, schreckliche Realität war."
Kinder und Jugendlichen waren durch
die Bilder und Berichte emotional tief bewegt und betroffen. Im Unterricht
wurde über die Terroranschläge in den USA, die viele Kinder
am Nachmittag des 11. September zu Hause live vor dem Bildschirm erlebt
haben, ausführlich gesprochen.
Die Lehrerinnen und Lehrer tragen dazu
bei, mit Besonnenheit, pädagogischem und psychologischen Fingerspitzengefühl,
den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule nachhaltig zu erfüllen.
Die Schule macht deutlich, dass es nicht um einen Konflikt "Islam
gegen den Westen" handelt. Die Schule bezieht gegen Pauschalverurteilungen
von Ausländern und gegen Fremdenfeindlichkeit Stellung. Einer wachsenden
Fremdenfeindlichkeit muss aktiv entgegen gewirkt werden. Es darf nicht
zu pauschalen Urteilen "gegen alle Palästinenser, Islamisten
und Muslime" kommen. Informationen, Gespräche, Aufklärung
sind im Schulunterricht angesagt.
Verurteilung des Terrors
Die 12-jährige Maryam, die vor
Jahren mit ihren Eltern aus Afghanistan flüchtete und heute in Düsseldorf
lebt, äußert ihre Sorge darüber, dass sie auf der Straße
ausländerfeindlich angepöbelt wird. Ihr Vater kam deshalb besorgt
in die Schule, um deutlich zu machen, dass er die Terroranschläge
aus vollem Herzen verurteilt und sich von terroristischen Stützpunkten
in seinem ehemaligen Heimatland scharf distanziert.
Der moslemische Schüler Redouan
Aoulad-Ali, Schulsprecher der multikulturellen Gesamtschule Kikweg in
Düsseldorf, verurteilt den Terroranschlag auf das World Trade Center
in einer eindrucksvollen Rede an die Mitschüler: "Ich kann
mir nicht vorstellen, dass irgendein Gott möchte, dass so etwas in
seinem Namen passiert."
Die Schulen müssen dazu beitragen,
dass kein Klima des gegenseitigen Misstrauens, der Pauschalverurteilung
und des terroristischen Generalverdachts entsteht und die Fremdenfeindlichkeit
nicht weiter zunimmt. Die Terroristen dürfen ihre Ziele nicht erreichen:
Verbreitung von Angst und Schrecken, Auslösung von Ohnmacht und Hilflosigkeitsgefühlen,
Ausgrenzung von Minderheiten, globale Destabilisierung durch die Eskalation
von Gewalt und Gegengewalt. In den Schulen gibt es dazu viele Gespräche,
Projekte, gemeinsame Kulturveranstaltungen, welche die Hoffnung auf Solidarität
und Verständigung deutlich machen.
In den meisten Unterrichtsfächern
wird intensiv über den Terror und den militärischen Vergeltungsschlag
der USA gesprochen. Im Englischunterricht werden zum Beispiel amerikanische
Online-Tageszeitungen im Internet gelesen. Die Reden des Präsidenten
werden im Original gelesen und besprochen. Im Unterricht werden Möglichkeiten
kompetenten und verantwortungsvollen politischen und demokratischen Handelns
verdeutlicht. Bei Diskussionen über die Frage "Was können
wir tun, um den Opfern zu helfen oder die Demokratie zu stärken?"
werden in fächerübergreifenden Projekten die weltweiten Konflikte
sowie Ursachen und Folgen von Gewalt und Terror besprochen.
Erziehung gegen Fanatismus
Die Erziehung zur Achtung der Menschenrechte
und der menschlichen Würde, zu gewaltfreier Konfliktlösung und
gegen jede Art von Fanatismus muss weltweit Kernstück aller pädagogischen
Bemühungen sein. Die Schule muss zu Werten wie Solidarität,
Verantwortung und Mitgefühl auffordern und diese Werte im Schulleben
konkret umsetzen.
Rationalität und Angemessenheit
der Gegenmaßnahmen auf die jüngsten Ereignisse hängen
davon ab, inwieweit Zeit für eine vernunftgeleitete Debatte bleibt.
Gedenkminuten, Lichterketten, Gottesdiensten, Briefe waren nach dem 11.
September Zeichen der Hoffnung auf Besonnenheit. Die politische Bildung
an den Schulen müsste jetzt verstärkt werden.
Im Unterricht werden u. a. folgende
Aspekte untersucht:
- Woher kommt der Hass? Was macht Menschen fähig, Selbstmordattentate
zu begehen?
- Die Rhetorik der Krise: Mit welchen rhetorischen Mitteln reagieren
Osama Bin Laden und George W. Bush auf den Terroranschlag? Eine fächerübergreifende
Auseinandersetzung mit der politischen Semantik von "Feind",
"Verbrecher" und "Krieg" ist notwendig.
- Terrorismusbekämpfung und die Beteiligung verschiedener Staaten:
Gefühl und Moral haben die öffentliche und politische Diskussion
in der ersten Woche nach den Anschlägen bestimmt. Das gilt z. B.
auch für eine mögliche Beteiligung Deutschlands an militärischen
Aktionen. Welche Möglichkeiten und Grenzen hat unser Land?
- Islam im Schulunterricht: Was lernt man in der Schule über die
islamische Welt? Viel zu wenig, meint Öczlan Mutlu, bildungspolitischer
Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Er sieht zu Recht einen riesigen Nachholbedarf auch über die Migrantenkulturen
im Inland.
- Medien und Terror: Die Bilder des Krieges. US-Angriffe auf Afghanistan,
Bombardements bei Nacht - zu sehen ist eigentlich nichts. Welche Ziele
wirklich getroffen werden, weiß letztlich keiner so genau. Wie
berichten die Medien über Bombenangriffe und Opfer in der Zivilbevölkerung?
Medien sind genauso wichtig wie Waffen, meint Volker Steinhoff, ARD-Korrespondent
in Washington (vgl. ARD Online vom 20.10.2001). Die Macht der Medien
kennt die US-Regierung genauso gut wie Osama bin Laden, der sich durch
seine Videoansprachen zum Heilsbringer der islamischen Welt stilisiert.
Dieter
Smolka ist stellvertretender Schulleiter in Düsseldorf und Herausgeber
mehrerer Bücher
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